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Bericht aus dem Maschinenraum #13

Es sind die kleinen Geschichten, die auch mal erzählt werden müssen. Geschichten, die Freude bereiten, die manchmal auch ein wenig bewegen und an die man sich noch lange erinnern wird. Und die auch nur in einer Krise so möglich sind.

Anfangen möchte ich mit den nächtlich aufgehängten Transparenten überall im Stadtgebiet. Auf weißen Lacken prangte eine großes ‚DANKE‘ in blutroten Buchstaben. Beschenkt mit diesem Gruß wurden all diejenigen, denen in der Krise eine besondere Leistung abverlangt wird: den Frauen und Männern der Feuerwehr, den Pflegerinnen und Pflegern, den Ärztinnen und Ärzten, den Verkäuferinnen und Verkäufern in den Lebensmittelmärkten und den vielen hier nicht Genannten. Gerüchten zufolge wurde die Aktion ‚Dankeschön‘ durch die Fans von Rot-Weiss-Essen erdacht und in die Tat umgesetzt. Eine großartige ‚rot-weisse‘ Geste, die ein echter Treffer war.

Noch mehr als tätige Gesten sind die vielen helfenden Hände in unseren Stadtteilen. Das Virus zwingt gerade Menschen jenseits der 60 zum Verbleib in den eigenen vier Wänden. Der tägliche Einkauf, der Arztbesuch, selbst das Beisammensein in der Familie sind jetzt zu einem unkalkulierbaren Risiko geworden. Über die ganz persönlichen Folgen dieser sozialen Isolation älterer Menschen wird sicherlich noch viel zu sprechen sein. Um so bemerkenswerter ist die spontane Hilfe vieler junger Menschen, aber auch kirchlicher Organisationen oder einfach der lieben Nachbarn, die im wahrsten Sinne des Wortes das Überleben sichern, indem sie die notwendigen Einkäufe erledigen.

Hier zeigt sich übrigens ein Phänomen, das mittlerweile seinen festen Platz im Katastrophenschutz gefunden hat. Die sog. Spontanhelfer, oftmals (selbst-)organisiert über die Sozialen Medien, finden sich in der Krise ‚spontan‘ zusammen, um Hand anzulegen, um zu helfen. So sind eine wichtige Ergänzung im Kanon der Katastrophenhelfer, wenn sie sinnvoll in die Prozessabläufe der Krisenbewältigung eingebunden werden. Das ist unzweifelhaft bei den Einkaufshelfern der Fall und gibt den von der Isolation betroffenen Menschen – wenn auch nur für einen kurzen Moment und unter Wahrung der Abstandsregeln – die Freude einer persönlichen Begegnung.

‚Social Distancing‘ ist vielfach auch Ursache für phantasievolle Formen des kulturellen Miteinanders. So verbindet uns jeden Abend um 19 Uhr das Läuten der Kirchenglocken; für mich ein Zeichen der Hoffnung in einer nicht leichten Zeit. Aber auch die Initiative unseres Philharmonischen Orchesters, ruhrgebietsweit zur selben Zeit das Steigerlied zu intonieren, ist Ausdruck eines selbstbewussten ‚WIR LASSEN UNS NICHT UNTERKRIEGEN‘. In Zeiten einer Krise mit all ihren existentiellen Ängsten und niederdrückenden Sorgen sind kulturelle Ausdrucksformen immer auch ein Beweis dafür, dass die Sehnsucht des Menschen nicht nur auf das nackte Überlegen reduziert ist, sondern auch auf die Schönheit der Welt in all ihren Facetten. Und so ziehen Künstlerinnen und Künstler durch unsere Straßen, improvisieren auf ihren Balkonen und musizieren in ihren Gärten, zur Freude eines dankbaren Publikums.

Eine letzte Geschichte soll auch noch Erwähnung finden. Aus den Krankenhäusern unserer Stadt wurde vor einigen Wochen das Problem an uns herangetragen, das – erraten Sie es? – auch mit Klopapier zu tun hat. Die im Schichtdienst beschäftigten Pflegerinnen und Pfleger, aber auch die Ärztinnen und Ärzte hätten beim abendlichen Einkauf oftmals mit leeren Regalen zu kämpfen. Mehl, Stärke, Seife und natürlich auch Klopapier, wohl gehortet bei den Messies dieser Stadt, aber unerreichbar für die Zunft der Helferinnen und Helfer. Es bedurfte einer Reihe von Anläufen und es gab auch Fehlschläge. Doch letztendlich fand sich eine Unternehmerfamilie, die zweimal die Woche ihren EDEKA für eine Stunde nach offiziellem Geschäftsschluss wieder öffnet, exklusiv für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Essener Krankenhäuser. Und dann sitzt der Chef persönlich an der Kasse; das ist es ihm wert.

In der Krise lernt man eine Stadt und ihre Menschen nochmals von neuem kennen. Und ich finde es schön, ihre Geschichten erzählen zu dürfen.

Christian Kromberg, Beigeordneter der Stadt Essen




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